Dein Körper stirbt, bevor du selbst stirbst: Ein Interview mit Anca Damian

Interview mit Anca Damian:

Crulic – drumul spre dincolo erzählt die Geschichte eines tragischen Hungerstreiks. Regisseurin Anca Damian redet über die Entstehung ihres Filmes.

von Gregor Schenker

Wann haben Sie zum ersten Mal von dem Fall Crulic gehört?

Das war im März 2008, als der Fall öffentlich wurde und es in Rumänien und Polen eine Untersuchung gab. Zunächst durch Journalisten, erst dann durch den Staatsanwalt und den Aussenminister Rumäniens. Die Sache wäre beinahe nie ans Tageslicht gekommen: Crulic starb im Januar, bis im März wusste niemand, dass es überhaupt einen Fall gibt. Ich war dann sehr daran interessiert, mehr zu erfahren, und entschied mich schliesslich dazu, einen Film zu machen. Wie ich den Film machen sollte, wusste ich damals noch nicht. Das kam erst später (lacht).

Die 1962 geborene Regisseurin, Drehbuchautorin und Kamerafrau Anca Damian hat mit Crulic ihren ersten Animationsfilm veröffentlicht. Die rumänisch-polnische Koproduktion erzählt vom Leben und Sterben des Daniel Claudiu Crulic, der infolge eines Hungerstreiks in einem polnischen Krankenhaus starb. Der Fall erschütterte im März 2008 ganz Rumänien.

Zu Beginn wollten Sie ja keinen animierten Film machen.

Nein. Es war so: Ich war fasziniert von dieser Art des Sterbens, dem Hungertod. Dein Körper stirbt, bevor du selbst stirbst. Du kannst über deinen Tod nachdenken. Ich wusste am Anfang also, dass ich etwas daraus machen wollte, aber ich wusste nicht, was. So fing ich an nachzuforschen und während ich dies tat, entschied ich mich für den Trickfilm. Ich begriff nämlich, dass ich den wichtigsten Teil der Geschichte, Crulic selbst, sonst nicht zeigen könnte. Ich las alles in den Akten nach, ich ging an die Orte, wo Crulic hingegangen war. Ich fing an, ihn mir vorzustellen und ich baute ihn in mir wieder zusammen. Als ich anfing, Crulic zu machen, erzählte ich die Geschichte aus seiner Warte.

Haben Sie also auch seine schriftlichen Hinterlassenschaften gelesen? Man sieht ja im Film, dass er ein Tagebuch führt.

Er hat immer Notizen gemacht, aber ich fand davon nur drei Seiten. Einträge in der Art von: „Ich war im Krankenhaus“, „Ich wiege 50 Kilos“ oder „Ich habe an diesem Tag einen Gerichtstermin“. Ich musste mir sein Sterben zusammenbauen, als ich es aufschrieb. Ich habe alles in Erfahrung gebracht, was ich konnte, und setzt den Fall zusammen. Nicht nur die Fakten, sondern auch seine Emotionen und seine Gedanken.

Vor Crulic haben Sie keine Animationsfilme gemacht?

Nein, das war mein erster Trickfilm, da war ich eine Anfängerin. Ich benutzte alle Werkzeuge, die die Animation mir zur Verfügung stellte. Die Werkzeuge, die mir halfen, diese Geschichte so gut wie möglich zu erzählen.
Ich habe in manchen Zeitungen gelesen, dass man den Fall mit Kafkas Werk verglich. Russische Journalisten verglichen ihn mit Gogol. Es ist eine universale Geschichte, nicht einfach ein Fall. Ich wollte nicht nur etwas über Daniel Claudiu Crulic erzählen. Der Film geht darüber hinaus.

Wie sind Sie zu ihren Trickfilmzeichnern gekommen? Wie haben Sie mit ihnen gearbeitet?

Es gibt in Rumänien keine Zeichentrick-Tradition. Zwanzig Jahre lang hatte kein Studio mehr einen Animationsfilm gemacht. Ich musste mir also die Leute suchen, ohne zu wissen, ob sie so etwas können, ob sie die richtigen dafür sind. Ich habe es dann gemacht wie beim Casting oder wenn ich eine Crew zusammenstelle und etwas Zeit mit ihnen verbracht. Schliesslich entschied ich mich über die Intuition. Du fühlst es, dass sie es schaffen können.
Als ich sie das erste Mal traf, stand noch nichts wirklich fest. Wir mussten einen Film machen, aber es war nicht ihr Film, sie haben einfach die Animation beigesteuert. Wir arbeiteten daran, bis wir den Stil fanden, den ich wollte. Es war nicht so, als hätten wir uns getroffen und alles wäre toll und schon fast fertig gewesen. Nein, es war viel Arbeit. Aber sie waren sehr begabt und am Ende war es wundervoll, mit ihnen zu arbeiten, und ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis.

Der Film vereint sehr verschiedene Stile. Haben die unterschiedlichen Trickfilmzeichner verschiedene Abschnitte übernommen?

Nein, sie haben den ganzen Film gemeinsam gemacht, aber verschiedene Techniken angewandt. Sie hatten nie zuvor zusammengearbeitet und kamen nur für Crulic zusammen. Dan Panaitescu zum Beispiel war für das Konzept verantwortlich, Dragos Stefan war eine Art Produktionsmanager, der dafür sorgte, dass eins zum andern kommt, und so fort.

Wie entstand die Musik für den Film?

Der Film ist ja eine Koproduktion, die Musik ist polnisch. Nachdem die Zusammenarbeit mit einem anderen Musiker nicht klappte, traf ich mich mit Piotr Dziubek. Er hatte nie zuvor Filmmusik komponiert, aber er schrieb schon Musik fürs Theater. Sein Stil passte sehr gut zu dem, was ich wollte. Er hat mir eine Auswahl geschickt, nur zwei oder drei Beispiele, so dass ich mich für die eine oder andere Richtung entscheiden konnte. Wir sprachen dann darüber, worum es in dem Film geht und was mir vorschwebte. Er hatte das Hauptthema zwei Wochen später fertig und es war brillant.

Machte er die Musik, ohne vorher den Film gesehen zu haben?

Ja, natürlich. Die Musik wurde im Nachhinein geschnitten.

Aber sie fügt sich wirklich hervorragend in den Film ein.

Piotr verstand mich sehr genau. Und er hat natürlich die Arrangements gemacht, nachdem der Film fertig war, wir passten hie und da die Länge an. Aber die eigentliche Musik entstand viel früher.

Auch der Sprecher, der Crulic seine Stimme gibt, passt perfekt.

Es handelt sich bei ihm um einen der berühmtesten Schauspieler Rumäniens, Vlad Ivanov. Er war schon drei- oder viermal in Cannes vertreten. Er kam in einem Städtchen in der Nähe von Crulics Heimatort zur Welt, er stammt also aus derselben Region. Er brachte die Ironie des Charakters sehr gut herüber.
Mit ihm zu arbeiten war sehr einfach. Wir sprachen drei- oder viermal miteinander und er verstand meine Vorstellungen sehr genau. Er arbeitet sehr professionell, bereitet sich sehr gut vor. Um anderen Leuten verständlich zu machen, was ich wollte, musste ich kämpfen. Mit Vlad war es nie ein Kampf, es funktionierte einfach.

Hatte der Film, nachdem er nun herauskam, politische Folgen?

Crulic ist kein politischer Film. Der Fall ist politisch, aber der Film ist nicht politisch. Mein Ziel ist es, die Leute zu ändern, denn sie sind dazu in der Lage, die Gesellschaft zu ändern. Wenn du sagst, du willst die Gesellschaft ändern, sind das bloss Worte. Die Gesellschaft wird von den Leuten gemacht, du musst ihre Sicht ändern.
Ich musste aber damit umgehen, dass es ein politisches Thema ist und es politische Reaktionen gibt. Der Aussenminister und andere Leute waren nicht glücklich darüber, dass wir über den Fall reden, aber es ist kein politisches Thema. Ich denke, dass das Politische die Menschen nicht wirklich erreicht. Was uns wirklich anspricht, das sind viel wichtigere Dinge als Politik (lacht).

Waren die Behörden hilfsbereits, als sie an Crulic arbeiteten?

Zu Beginn nicht. Aber es wurde besser, als der Film zu einer rumänisch-polnischen Koproduktion wurde. Am Anfang war es fast unmöglich, mehr als das herauszufinden, was in den Zeitungen stand. Aber danach bekam ich die Kopien der Akten, ich bekam alles, was ich sehen wollte. Ich habe eine Menge Leute getroffen, Familie und Freude von Crulic, Nachbarn und Bekannte. Ich verbrachte so viel Zeit mit dem Fall. Jetzt weiss ich viel mehr als die Zeitungen und Journalisten. Ein Journalist beschäftigt sich maximal eine Woche mit einem Fall, er schreibt etwas darüber und das war’s. Wenn du einen Film machst, gehst du tiefer. Das ist viel komplizierter, als einen Artikel zu schreiben.

 

Die Kritik zum Film gibt es hier.

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.

Leave a comment